Celebrity oder Musiker?

Musikerfrage
Sagt doch den jungen Bands endlich die Wahrheit! Keine Band wird im Radio gespielt weil sie gut ist! Lest doch mal Artikel zum Thema Musikindustrie und neue Künstler. Für die Band “Tokio Hotel” wurden laut der Zeitschrift “Spiegel” 250.000 Euro für Werbung ausgegeben. “Peter Fox” hat gesagt, er habe für seine CD 175.000 Euro investiert.
Schaut euch an, wie die Bands zu TV Sendungen wie “Wetten dass” kommen. Da gibt es eine Firma (Dolce Media GmbH) vom ZDF und den Gottschalk-Brüdern, die kassieren, wenn eine Band in die Sendung will. Es gibt Banken und Investment-Fonds, die sammeln Geld und veröffentlichen Musik (Musikfonds Glor Music). Ohne Lottogewinn bleibt die “Dorfband” im Dorf.

Fontastix-Antwort
Mir scheint, da macht jemand einen Denkfehler. Natürlich ist es üblich, dass man Stars aufbaut und Geld investiert. Dies macht man jedoch nur mit Leuten und Musikern, die man verkaufen kann. Tokyo Hotel sind ja auch nicht mein Geschmack, doch hier geht es weniger um Musik als ums Image. Solange junge Mädchen nasse Hösschen beim Anblick von musizierenden Jungs kriegen, ist das nach wie vor der sicherste Verkaufswert. Das war beim jungen Sinatra so, bei Elvis, Beatles, T. Rex, David Bowie, Take That und vielen anderen. Seit Madonna hat man auch die Damen entdeckt. Dort finden sich neben Talent im gleichen Mass wie bei den Buben Talent und Image. In der heutigen marketingorientierten Zeit hat man im Gegensatz zu früher aber festgestellt, dass die Qualität der Musik sekundär ist und dass das Image das zentrale Verkaufsargument darstellt. Dies führt dazu, dass Tokyo Hotel und ähnliche Retorten-Bands erfolgreich sind.

Peter Fox ist nicht meine Schiene, doch der bietet in seinem Umfeld auf alle Fälle Qualität. Mit seiner Band Seed hat er sich jahrelang in Clubs und auf kleinen Bühnen die Sporen abverdient und macht Musik mit Leidenschaft und zudem hat er auch das Talent dazu. Peter Fox hat sich hinaufgearbeitet und investiert das verdiente Geld in Werbung für seine CD. Das beweist bloss, dass er ein intelligenter Mensch ist und seine Position halten will. Wer langfristig am Ball bleiben will, muss mit dem Markt arbeiten. Die Rolling Stones machen das seit Jahrzehnten und haben ihren Ruf nicht verloren, obwohl es sich in Tat und Wahrheit um eine Oldies-Show handelt und diese einst wunderbare Band seit Exile on Main Street oder im besten Fall seit Some Girls nicht mehr viel Schlaues produziert hat.

Ich war während 15 Jahren Musikredaktor bei DRS3. Heute höre ich kaum mehr Radio, weil es mich langweilt. Die Songs die gespielt werden, werden durch ein Team von Musikredaktoren ausgewählt. Leider führt macht man heutzutage auch Hörerbefragungen durch, um herauszufinden, was die Leute hören wollen. Das ist Grundsätzlich eine Schnapsidee und auch eine Kapitulation, denn die meisten Leute wollen nur hören, was sie schon kennen.

DRS3 pickt aber auch Songs raus, die auf MX3 sind, denn es besteht nach wie vor das Bestreben, Schweizer Musik zu spielen und Schweizer Musiker zu unterstützen. Aus meiner eigenen Erfahrung weiss ich aber auch, dass es nur bedingt etwas bringt, einen Song rauf und runter zu spielen. Wenn die Leute ihn nicht kaufen wollen, lassen sie es sein. Hits kann man nicht erzwingen. Mit einem gewissen Werbebudget kann man jedoch die Aufmerksamkeit auf einen Song oder einen Künstler leiten und damit die Chance erhöhen.

Als Konsument hat man aber nach wie vor die Möglichkeit gute Musik zu entdecken. Man muss sich halt ein wenig anstrengen. Doch das war in der Zeit vor Pop-Radio und MTV auch so.

Peter Fox hat am Anfang seiner Karriere kaum gejammert: “Meine Songs sind auch nicht schlecht, aber mich spielt niemand”. Solche Aussagen sind das Gejammer von verwöhnten Schweizern die neben der KV-Lehre noch gerne Musik machen. Daran ist nichts auszusetzen, dass habe ich auch gemacht, denn Musik macht man ja hautptsächlich, weil es Freude bereitet. Falls die Songs nicht schlecht sind, sind sie eben auch nicht gut, sondern eher Mittelmass. Jeder ehrliche Musiker kann bestätigen, dass es keine Kunst ist, einen Song zu schreiben. Dafür braucht es weder Intelligenz noch ein besonderes Talent. Es ist jedoch eine Kunst, aussergewöhnliche Songs zu schreiben, die sich vom Rest abheben. Solche Songs können aus drei oder dreissig Akkorden bestehen, es gibt keine Regeln. Es hat immer wieder Songwriter und Musiker gegeben, die solches Material einfach aus dem Aermel schüttelten, andere hatten das Glück wenigstens einen Knüller geschrieben zu haben. Die meisten Songs die geschrieben werden verschwinden jedoch wieder in einem schwarzen Loch im Universum, wo sie hergekommen sind und möglicherweise auch hingehören.

Das Beispiel mit “Wetten dass” ist bezeichnend für die Denkweise von Leuten, die Musik machen, weil sie gerne berühmt und erfolgreich wären. Ich zweifle jedoch ernsthaft am Geisteszustand eines Musikers, dessen Wunsch es ist, in dieser abgehalfterten Show aufzutreten und sich von Gottschalk ansagen zu lassen und seinen Songs einem Publikum von Rentnern und debilen Fernsehkonsumenten vorzuführen. Das hat mit Musik nichts zu tun. Dass da irgendwelche Spezis aus dem Gottschalk-Umfeld Geld damit verdienen, ist irgendwie auch logisch und soll ihnen gegönnt sein, wenn Sie Idioten finden, die dafür bezahlen und glauben, damit den Durchbruch zu schaffen. Das gleiche gilt natürlich für alle, die sich den Durchbruch in Sendungen wie Popstar oder X-Factor und ähnlichen TV-Shows erhoffen. Entweder will man Fernsehen machen oder Musik, Celebrity sein oder sich als Musiker durchsetzen. Musik ist eine wundervolle Beschäftigung. Wenige werden berühmt und reich damit. Die meisten haben aber Spass daran. Falls man nicht erfolgreich ist, kann man sich im Notfall einfach einreden, ein verkanntes Genie zu sein. Vielleicht hilft das.
Matthias Wilde

Dieser Text ist quasi eine Fortsetzung zum Artikel Den CD-Verkauf ankurbeln, auf den der oben zitierte Kommentar von Steffen eintraf.

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Comments
  • Gabriele Ruttloff
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    Ausgezeichneter Beitrag und voll zutreffend. Als Veranstalterin des MBiz Workshops “CD fertig – und jetzt?”, in dem auch das Thema Radio behandelt wird, würde ich gerne diesen Beitag in die Workshop-Unterlagen übernehmen, selbstverständlich mit allen Urheber-, Link- und Firmenangaben. Danke für die Kontaktaufnahme. LG, Gabriele

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